Wer als Industriekletterer sicher arbeiten will, muss seine persönliche Schutzausrüstung regelmässig prüfen und dies auch dokumentieren. Um dabei den Durchblick zu behalten, hat Petzl mit dem ePPEcentre eine zentrale Software entwickelt, die die Verwaltung enorm vereinfacht. Ein Augenzeugenbericht.
Text und Fotos: Stefan Tschumi
Ein Freitagmorgen Mitte März 2024: Die Türe zur Ausbildungshalle der Team Vertikal GmbH in Pratteln (BL) steht weit offen. Drinnen ist es recht dunkel, die Lampen sind aus, lediglich das durch eine Fensterreihe fallende Licht illuminiert die mit Klettergriffen bestückten Holzwände. Von Balken hängen Seile herab, auf dem Boden befinden sich allerlei Sicherungsgeräte, und ein Schild mit der Aufschrift «PSGAG-Kurs» gibt Aufschluss darüber, was normalerweise in dieser Halle geübt wird: Der Umgang mit der persönlichen Schutzausrüstung, kurz PPE (Personal Protective Equipment) gegen Absturz. Doch heute steht nicht das Training im Fokus. Heute werden Ausrüstungsgegenstände geprüft, die just in diesem Moment von Adrian Schlegel, dem stellvertretenden Geschäftsführer von Team Vertikal auf einem Plattformwagen herbeigerollt werden. Aus einem Nebenraum ertönen die Worte: «Adi wird älter, er kommt mit dem Wägelchen», gefolgt von einem freundlichen Lachen. Es ist die Stimme von Kay Braun, Technical Adviser von Petzl und Experte für das ePPEcentre. Schnell ist klar: Die beiden mögen sich, pflegen einen kollegialen Umgang und haben Sinn für Humor. Ausser, wenn es um das Thema Sicherheit geht, da verstehen beide keinen Spass. Genau deshalb gibt es in dieser Halle den PSA-Prüfungsraum, in welchen Adi das Equipment bringt. Es gehört einem von insgesamt 60 Kunden, die beim Team Vertikal ihre Ausrüstung überprüfen lassen.
Adrian Schlegel, stellvertretender Geschäftsführer von Team Vertikal kommt mit dem zu überprüfenden Equipment angerollt.
Unfälle durch Materialversagen verhindern
«In unserer Branche kann die Benutzung von Material, dass am Ende seines Lebenszyklus angekommen ist, tödlich enden», meint Adi.
Damit hinsichtlich der Handhabung und Gewährleistung der Funktionstüchtigkeit der persönlichen Schutzausrüstung allgemein gültige Standards herrschen, wurde in der Schweiz die PSAgA geschaffen. Sie sieht vor, dass Ausrüstung der Schutzkategorie 3 einer jährlichen Überprüfung durch einen unabhängigen Experten unterzogen werden muss. Adi Schlegel, der seit zehn Jahren als Industriekletterer tätig ist, hat vor acht Jahren die Ausbildung zum Prüfer durchlaufen und weiss daher genau, worauf zu achten ist. «Bei einer Prüfung musst du konzentriert sein, denn es geht um die Sicherheit von Menschen.» Adi betont, dass er nicht wochenlang Prüfungen durchführen kann. Die Konzentration lasse irgendwann nach und damit steige die Gefahr, dass wichtige Details unerkannt bleiben. Aus diesem Grund arbeiten beim Team Vertikal zwei Prüfer abwechselnd. Die Prüfung indes ist nur die halbe Miete, denn zwingend erforderlich ist auch die Dokumentation der Ausrüstung. Adi deutet auf ein Regal, in dem sauber aufgereiht dicke blaue Bundesordner stehen, alle bis obenhin gefüllt. Darin ist jeder Ausrüstungsgegenstand der Kunden dokumentiert. Jeder Karabiner, jede Anseilschlaufe, jeder Klettergurt und jeder Helm ist sauber aufgelistet, mit Seriennummern für die Nachverfolgbarkeit.
Die PSAgA sieht vor, dass Ausrüstung der Schutzkategorie 3 einer jährlichen Überprüfung durch einen unabhängigen Experten unterzogen werden muss. Als ausgebildeter Prüfer weiß Adi Schlegel genau, auf welche Details es bei dir Überprüfung zu achten gilt.
Moderne Datenverwaltung dank Cloud und App
Seit 2019 sind die Hersteller von Schutzausrüstungen in der Pflicht, die Seriennummer auf der Ausrüstung zu platzieren. Ansonsten darf das Equipment nicht verkauft werden. Petzl macht dies schon seit den 80er Jahren – freiwillig, aber nicht uneigennützig, wie Kay anmerkt. «Paul Petzl ist es wichtig, dass dort, wo Petzl draufsteht, auch Petzl drin ist». Seit jeher steht der Name des familiengeführten Unternehmens für erstklassige Schutzausrüstung, die ihren Benutzern Sicherheit garantiert. Eine minuziöse Datenpflege ist beim französischen Konzern keine Kür, sondern Pflicht. «Wir wollen schnell reagieren können, sollte in der Produktion mal ein Fehler unterlaufen», meint Kay. Um Fehler möglichst auszuschliessen, zählt man bei Petzl neben lückenlos geführten Daten auch auf Kameras für den Qualitätscheck sowie – und das erstaunt doch im Jahre 2024, auf das geschulte Auge der Mitarbeitenden. «Jedes Ausrüstungsteil wird von einem Menschen final geprüft» sagt Kay sichtlich stolz, während er ein orangenes Sicherungsgerät von allen Seiten begutachtet. Wer nun glaubt, dass bei Petzl die Digitalisierung verschlafen wird, der irrt. Ganz im Gegenteil: Papierloses Arbeiten wird gross geschrieben, fast so gross wie Sicherheit. Daraus erwachsen ist das ePPEcentre, das im Januar 2024 den Kunden zugänglich gemacht wurde.
Mit dem ePPEcentre hat Petzl eine zentrale Software entwickelt, die die Verwaltung und Überprüfung der persönlichen Schutzausrüstung enorm vereinfacht.
Noch bis Ende des Jahres 2023 hat Adi Schlegel Excel-Listen gepflegt. Darauf wurde möglichst die gesamte Historie der Ausrüstungsgegenstände festgehalten. Eine Fleissarbeit, die manuell gemacht werden musste und ein extrem genaues Arbeiten erforderte. «Wenn die SUVA kommt, musst du in der Lage sein zu beweisen, dass für den jeweiligen Ausrüstungsgegenstand eine jährliche Prüfung durchgeführt wurde», sagt Adi mit ernstem Blick und fügt an: «Das ist gut, aber sehr aufwändig.» Kommt dazu, dass die Listen, welche Adi seinen Kunden mitgegeben hat, nicht selten verloren gingen. Eine Materialverwaltung auf Papier oder mittels Excel-Tabellen ist nicht mehr zeitgemäss. Deshalb gehört das Team Vertikal zu den ersten Usern des ePPEcentres, das am 16. Februar 2024 bereits 100’000 Benutzer zählte.
Anfänglich sei er skeptisch gewesen. Nach einem ersten Test war aber klar, dass es kein Zurück mehr gibt. Die Software habe sofort überzeugt: Weil sie übersichtlich aufgebaut und einfach zu bedienen sei. Bei Petzl-Produkten, die jünger als Jahrgang 2016 sind, reicht ein kurzes Abscannen und schon landen diese im System. Alternativ kann der Ausrüstungsgegenstand auch mit der App gescannt werden. Dazu muss man nur den QR-Code oder die Seriennummer erfassen. Sollte diese aufgrund der Abnutzung vom Scanner oder der Kamera nicht erfasst werden, kann man sie manuell hinzufügen. Heute klappt es aber problemlos. Adi scannt mal mit dem Handscanner, mal mit der Smartphone-App – was sich halt gerade in Griffnähe befindet.
Adi Schlegel beim einscannen des Equipments von einem der insgesamt 60 Kunden, die beim Team Vertikal ihre Ausrüstung überprüfen lassen.
Gut ist nicht gut genug
Nach jedem erfolgreichen Einscannen erscheint auf dem Bildschirm das Produkt-Interface. Darin ist das Herstellungsdatum zu entnehmen und es wird ersichtlich, wann das Produkt zum ersten Einsatz gekommen ist. Ebenso listet Adi hier auf, wann er welche Prüfung durchgeführt hat. «Dies vereinfacht meine Arbeit enorm», sagt er und zupft schon am nächsten Gurt. Dank den Informationen in der Software wird sofort ersichtlich, welcher Ausrüstungsgegenstand wann zur Prüfung fällig ist und auch, wann welches Teil ersetzt werden muss. Ebenso können Ausrüstungsgegenstände zu Sets kombiniert werden. Dadurch ist stets nachvollziehbar, welches Ausrüstungsset welche einzelnen Gegenstände umfasst. Alle Informationen lassen sich auch auf dem Dashboard mittels Diagrammen und Farbcodes visualisieren. So steht da beispielsweise die Gesamtanzahl der Artikel pro Unternehmen und Mitarbeiter. «Grün bedeutet ‘Alles in Ordnung’, bei Rot wird es kritisch», merkt Adi mit einem Lächeln an. Damit die Handhabung der Ausrüstung nicht kritisch wird, findet sich im ePPEcentre auch zu jedem Produkt ein PDF mit der Gebrauchsanweisung sowie teils auch Links zu Anleitungsvideos. Wer will kann zudem auch das Material anderer Hersteller hinzufügen. Hier wird noch etwas manuelle Arbeit notwendig, da im Gegensatz zu den Petzl-Produkten keine penibel gepflegten Datenstämme aus dem SAP gezogen werden. Die selbst eingepflegten Daten liegen in einem separierten Bereich auf der Cloud, der dem jeweiligen Account zugeordnet und nur für diesen zugänglich ist. Denn hierbei geht es nicht nur um Arbeitssicherheit, sondern auch um Datensicherheit.
Die Schweiz rangiert gemessen an den Benutzern des ePPEcentres aktuell auf Rang zwei hinter Frankreich. Das zeigt, dass hierzulande das Thema Sicherheit ernst genommen wird. Es gibt aber noch immer Luft nach oben. Während Adi Gurte und Sicherungsgeräte prüft gibt er weitere Einblicke in seine Arbeit. So bekam er einmal verschimmelte Ausrüstung angeliefert, und wenn er ein Produkt am Ende seiner Lebenszeit aus dem Verkehr zieht, stösst er gelegentlich auf grosses Unverständnis. «Es ist brutal, wie in dieser Branche teils bei der Sicherheit gespart wird», meint Adi kopfschüttelnd. Aber das ePPEcentre kann unter Umständen zur Sensibilisierung hinsichtlich des Umgangs mit der Ausrüstung beitragen. Deshalb erstellt Adi Schlegel für seine Kunden eigene Accounts ohne Admin-Rechte. Dadurch können diese ihre Ausrüstungsgegenstände und deren History in der Software oder bequem auf dem Handy am Smartphone einsehen, aber die Datensätze nicht verändern. Adi ist überzeugt, dass das ePPEcentre nicht nur seine Arbeit erleichtert, sondern auch zur Sicherheit beiträgt. Denn genau darum geht es Adi und auch Kay: Mit ihrer Arbeit und den entsprechenden Tools das Arbeiten für Industriekletterer sicherer zu machen. Und auch im Privatbereich kann das ePPEcentre eingesetzt werden. Adi wie auch Kay haben beispielsweise ihre private Kletterausrüstung ebenfalls erfasst – denn die Sicherheit ist im Privaten nicht minder wichtig als im professionellen Bereich.